Cannabis: Die kulturgeschichtliche Reise einer Heilpflanze
Kaum eine Pflanze begleitet die Menschheit so lange und vielschichtig wie Cannabis. Seit Jahrtausenden wird Hanf genutzt – als Rohstoff, Medizin, Genussmittel und rituelle Substanz. Seine Spuren finden sich auf allen Kontinenten, in alten Schriften, archäologischen Funden und überlieferten Heiltraditionen.
Die ersten Zeugnisse: Kaiser, Ärzte und Schamanen

Bereits vor fast 5000 Jahren taucht Cannabis in schriftlichen Quellen auf. Der legendäre chinesische Kaiser Shen Nung, oft als „Vater der chinesischen Medizin“ bezeichnet, listete Hanf in seinem Arzneibuch als Heilmittel gegen Malaria, Rheuma, Gicht und Schmerzen. In Indien wurde Cannabis unter dem Namen „Bhang“ Teil religiöser Rituale und medizinischer Anwendungen. Dort galt es als Geschenk Shivas, das Geist und Körper reinigen sollte. Auch in Persien und der arabischen Welt nutzte man Cannabis gegen Krämpfe und Schmerzen.
Die Griechen und Römer kannten Hanf vor allem als Faserpflanze, doch auch medizinische Anwendungen sind dokumentiert. Der griechische Arzt Dioskurides schrieb im ersten Jahrhundert über die Wirkung von Hanfsamen gegen Ohrenschmerzen. In Europa war Cannabis lange Bestandteil der Klostermedizin – ein Kraut, das in Gärten wuchs und gegen allerlei Beschwerden eingesetzt wurde.
Die Vielfalt der Cannabispflanze
Botanisch wird die Gattung Cannabis in drei Arten unterteilt: Cannabis sativa, Cannabis indica und Cannabis ruderalis. Jede hat ihre Besonderheiten: Sativa ist hochwachsend, mit schmalen Blättern, ursprünglich aus tropischen und subtropischen Regionen. Ihr wird eine eher belebende Wirkung zugeschrieben. Indica hingegen ist kleiner, buschiger, mit breiteren Blättern, und stammt aus den bergigen Regionen Südasiens. Sie gilt als entspannender. Ruderalis ist eine wilde Form mit geringer psychoaktiver Wirkung, wird heute aber wegen ihrer automatischen Blüte (unabhängig vom Lichtzyklus) in der modernen Zucht eingesetzt.
Nutzhanf: Stoff, Seile und Papier aus der „Alleskönner-Pflanze“
Über viele Jahrhunderte war Hanf vor allem Rohstofflieferant. Seine robusten Fasern wurden zu Seilen, Segeln, Textilien und Papier verarbeitet. Die Schiffe, mit denen Kolumbus Amerika erreichte, waren mit Hanfsegeln bespannt. Auch die berühmte Gutenberg-Bibel wurde vermutlich auf Hanfpapier gedruckt. Hanf war ein zentraler Bestandteil der europäischen Agrarwirtschaft, bis er im 20. Jahrhundert durch Baumwolle, Holz und schließlich gesetzliche Einschränkungen verdrängt wurde.
Industriehanf enthält nur geringe Mengen des psychoaktiven Wirkstoffs THC – in der EU unter 0,3 %. Er wird auch heute wieder vermehrt angebaut, sei es für ökologische Baustoffe, Biokunststoffe oder gesunde Hanfsamen.
Warum wir weibliche Pflanzen bevorzugen
Für die medizinische und Genussnutzung ist vor allem die weibliche Pflanze relevant. In ihren harzigen Blüten bilden sich die höchsten Konzentrationen an Cannabinoiden wie THC und CBD. Männliche Pflanzen dienen zwar der Bestäubung, enthalten aber kaum Wirkstoffe. Deshalb entfernen Züchter männliche Pflanzen oft frühzeitig, um eine unbestäubte, besonders wirkstoffreiche Ernte zu erzielen – bekannt als „Sinsemilla“ („ohne Samen“).
In vielen Kulturen spielte diese weibliche Blüte eine besondere Rolle. In Indien etwa wurden die getrockneten Blüten zu „Charas“ (handgeriebenes Haschisch) verarbeitet; in Nordafrika zu „Kif“; im Mittleren Osten zu „Haschisch“, wie es auch in der Literatur auftaucht, etwa in den Geschichten aus „1001 Nacht“.
Die moderne Renaissance: Medizinisches Cannabis heute
Im 19. Jahrhundert entdeckten europäische Ärzte Cannabis neu. Der irische Arzt William Brooke O’Shaughnessy brachte das Wissen aus Indien nach Europa und setzte es erfolgreich gegen Muskelkrämpfe und Schmerzen ein. Doch mit der beginnenden Drogenpolitik des 20. Jahrhunderts geriet Cannabis zunehmend in Verruf. Erst in den letzten Jahrzehnten erlebte die Pflanze eine Renaissance als Medizin: zur Schmerztherapie, gegen Spastiken bei Multipler Sklerose, zur Linderung von Übelkeit bei Chemotherapie oder gegen epileptische Anfälle.
Ein Erbe, das wir zurückgewinnen
Cannabis war nie nur „Droge“ – es war Medizin, Rohstoff, Kulturgut. Die gesellschaftliche Debatte hat diese Vielschichtigkeit oft vergessen lassen. Genau hier liegt heute eine zentrale Aufgabe: die Aufklärung über die tatsächliche Geschichte und das Potenzial dieser Pflanze.
Als Anbauverein tragen wir dazu bei, Wissen zu vermitteln, verantwortungsbewussten Umgang zu fördern und die jahrtausendealte Verbindung zwischen Mensch und Hanf wieder sichtbar zu machen. Unser Ziel ist es, Cannabis als Heil- und Kulturpflanze in der Gesellschaft neu zu verankern – jenseits von Vorurteilen, mit Respekt für seine Geschichte und Verantwortung für seine Zukunft.

